Wohl kaum jemand war im Stande, die Mystik einer unbegrenzten Wahrheit in eine so fassbare Form zu bringen wie Emily Dickinson. Ihrem Gedicht, das mit größtmöglicher Präzision die Beobachtung des im Sterben inbegriffenen schildert, ist der Titel dieser Ausstellung entliehen.
Darin positionieren sich 22 junge Künstler in der nicht-wissenschaftlichen, verinnerlichten Auseinandersetzung ihres künstlerischen Mediums, zu dem einen zeitlosen Vorhang, den die Empirie nicht zu lüften vermag. Denn das Erleben ist eingeschlossen in die Hülle seines Subjektes, und wir alle können nur näher und näher hinschauen, so wie Emily Dickinson, als unbeteiligte Beobachter, solange der Moment des eigenen Todes noch nicht gekommen ist.
Politik und Medizin bleiben gezwungener Maßen auf der pragmatischen Ebene des Entscheidens, in Persönlichkeitsrecht und Sterbehilfegesetzgebung. Die künstlerische Auseinandersetzung beginnt dort das Schlachtfeld einer Debatte zu übernehmen, wo der logischen Diskussion der Boden entgleitet. Was bleibt ist die instinktive, vielleicht naive Reflexion über diesen Moment des beginnenden Nicht-mehr-Seins oder der Metamorphose vom lebenden Zustand, in den, der danach beginnt, und ihrer zeitgenössischen Verortung in der menschlichen Wahrnehmung. In dieser Selbstbefragung wird der Zauber einer zweiten Welt hinter dem Sichtbaren spürbar und die Möglichkeit einer größeren Wahrheit im Schrecken des Unvermeidlichen.
Dieser Schrecken des Unvermeidlichen, den wir durch die moderne Medizin so gekonnt aus dem alltäglichen Erleben verbannt haben, und der sich trotzdem auf eine neue Art ins Bewusstsein drängt – durch Fluten von Fotos und Fiktionen, die sich durch das Internet an der Zensur öffentlicher Pietät vorbeizwängen. Dieser Schrecken der Unvermeidlichkeit, der junge Künstler in die Enge treibt, wenn die Helden ihrer Kindheit zu versehrten Todgeweihten und schließlich zu Erinnerung werden.
Die Kunstwerke dieser Ausstellung thematisieren auf völlig unterschiedliche Weise das unbequemste aller Themen, das uns dennoch bei jedem Atemzug begleitet.
Denn es ist diese Unausweichlichkeit, die unser Dasein zu einem Leben und uns zu dem momentan Lebendigen macht.
I´VE SEEN A DYING EYE
Ausstellung der Klasse Macketanz, Hochschule für Bildende Künste Dresden
Eröffnung: 28.04.2016, 19.00 Uhr | Einführung von Rektor Matthias Flügge
Ausstellungsdauer 29.– 30.4.2016 | Öffnungszeiten: 11.00 – 20.00 Uhr
Mit Caroline Scheel | Marie Athenstaedt | Katharina Baumgärtner | Ella Becker | Gyde Becker | Elise Beutner | Josephin Bunde | Michaela Dehnert | Johanna Failer | Wiebke Herrmann | Dominique Hille | Patricia Huck | Amelie Hünecke | Jan Kunze | Melanie Kramer | Danny Linwerk | Melanie Loureiro | Nora Mesaros | Martin Mischner | Maria Morgenstern | Vivien Nowotsch | Lisa Pahlke | Erika Richter | Simon Rosenthal | Vivien Schlecht | Christian Thamm
Kunstquartier Bethanien – Studio1
Mariannenplatz 2
10997 Berlin
Anfahrt: U1/U8 Kottbusser Tor
Herzliche Einladung!
Vernissage: 28.04.2016, 19.00 Uhr
Mehr Informationen: Flyer öffnen